Toros Sarian

Aserbaidschanische Politiker bieten 10.000 Euro für ein abgeschnittenes Ohr

Ekrem Eylisli genoss bis vor wenigen Tagen als „Schriftsteller des Volkes“ ein hohes Ansehen in der Republik Azerbaidschan. Heute wird das Haus des 75-jährigen Schriftstellers in Baku von aufgebrachten Nationalisten belagert; seine zahlreichen Romane werden öffentlich unter Jubel verbrannt; Präsident Aliyew hat per Dekret dem Schriftsteller, der 2005 auch Abgeordneter im Parlament in Baku war, den Titel „Schriftsteller des Volkes“ aberkannt und zugleich auch angeordnet, dass er keine Ehren-Pension mehr erhält. Die als Angestellte einer Bibliothek beschäftigte Ehefrau Eylisli’s wurde gekündigt; genauso erging es seinem in einem Ministerium angestellten Sohn, auch er wurde entlassen.

Der Grund, warum der hoch angesehene Schriftsteller samt seiner Familienangehörigen in eine solche dramatische Lage geriet, ist seine neueste Novelle „Träume aus Stein“, das kürzlich im russischen Literatur-Magazin „Brüderlichkeit der Völker“ erschien. Darin geht Eylisli auf den armenisch-aserbaidschanischen Konflikt um Berg-Karabach und die Pogrome gegen die Armenier ein. In einer Passage der Novelle wird erzählt, wie ein aserbaidschanischer Künstler sich schützend vor einen alten Armenier stellt und ihm das Leben rettet.

Die Kampagne gegen Eylisli verdeutlich wieder einmal, wie rigoros das autoritäre Regime des Ilham Aliye gegen jeden vorgeht, der es wagt, die gegen die Armenier verübten Gräueltaten offen auszusprechen, die staatlich gelenkte anti-armenische Hetze zu kritisieren und für Frieden mit den Armeniern einzutreten. In einem Interview mit der armenischen Zeitung AGOS sagte Eylisli: „Ich habe hier eine Geschichte der Menschlichkeit geschrieben. Ich spreche davon, dass mit der Unterdrückung des Menschen durch Menschen Schluss gemacht werden muss. In der Region, wo wir leben, bilden die Armenier von Berg-Karabach einen Teil der Bevölkerung. Wir können mit den Armeniern nicht zusammenleben, indem wir sie beschimpfen. Wir müssen die Schuld, die wir verübt haben, eingestehen. Dies ist zugleich meine Botschaft an die Armenier. Es ist noch nicht zu spät, wir müssen gemeinsam den Weg zum Frieden öffnen.“[i]

Dass die Aliyew-Regierung einen ganz anderen Weg eingeschlagen und diesen unter allen Umständen gehen will, zeigen die enormen Ausgaben für die Aufrüstung des Landes für einen Krieg, um die Herrschaft über Berg-Karabach wiederzuerlangen. Durch die Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten fließt genug Geld in die Staatskasse, um nicht nur Milliarden für Waffen auszugeben, sondern auch für die Propaganda-Maschinerie und das prunkvolle Leben der Herrschenden in Baku. Die Bevölkerung wird ganz im Geiste eines extrem anti-armenischen Nationalismus getrimmt; selbst die Opposition vertritt, wenn es um Berg-Karabach und Armenier geht, im Prinzip die Regierungslinie. Dass ein Intellektueller den „nationalen Konsens“ nicht akzeptiert und die Verbrechen an den Armeniern in Aserbaidschan anspricht, stößt in allen politischen Lagern auf scharfe Kritik.

Die Drohungen gegen Eylisli gipfelten zuletzt in dem Vorschlag der Führung der „Neue Musavat Partei“, denjenigen mit 10.000 Manat (umgerechnet etwa 10.000 Euro) zu belohnen, der dem Schriftsteller ein Ohr abschneidet![ii] Wenn heute aserbaidschanische Politiker offen dazu aufrufen, einen einstigen Abgeordneten und weltweit bekannten Schriftsteller die Ohren abzuschneiden, dann kann man sich unschwer vorstellen, wie es 1988-92 den wehrlosen Armeniern in Sumgait, Baku, Gandscha und anderen Orten Aserbaidschans erging, als Nationalisten über sie herfielen, vergewaltigten, mordeten und folterten. Wenn Eylisli in seiner Novelle auf die Pogrome gegen die Armenier eingeht, dann hat  er einfach nur die grausame Realität jener Jahre beschrieben. Dass sich daran nichts geändert hat und der Geist des Armenierhasses noch allgegenwärtig ist, kann die Weltöffentlichkeit an den hasserfüllten, aggressiven Reaktionen erkennen, die von hohen Regierungsvertretern angeheizt werden: „Wir müssen öffentlich Hass gegenüber diesen Leuten ausdrücken“, erklärte Ali Hasanov von der Präsidialadministration.[iii] Damit gibt er grünes Licht für diejenigen, die am liebsten nicht nur die Ohren, sondern gleich den Kopf des Schriftstellers abschneiden würden, weil er an die Verbrechen gegen die Armenier erinnert hat.

Zum Schutz von Eylisli und seiner Familie ist dringend eine internationale Solidaritätskampagne erforderlich. Es muss verhindert werden, dass diese mutige Stimme des Friedens und Freundschaft zwischen Armeniern und Aseris zum Schweigen gebracht wird. Der bekannte türkische Verleger und Menschenrechtler Ragip Zarakolu rief bereits in einem Appell zur Solidarität mit Ekrem Eylisli, denn durch die staatlich geschürte nationalistische Hetzkampagne sei das Leben des Schriftstellers bedroht. Zarakolu erinnerte in diesem Zusammenhang an die Ermordung Hrant Dinks vor sechs Jahren.[iv]

Offenbar scheint sich in Deutschland bislang niemand für den Fall Eylisli zu interessieren. Die Linkspartei, die sich gerne als Avantgarde internationaler Solidarität sieht, schweigt: Das Mitglied der Linksfraktion im Ausschuss für Menschenrechtsfragen, Katrin Werner, scheint der Fall Eylisli nicht wichtig genug zu sein, um sich wenigstens in einer Pressemitteilung dazu zu äußern. Der Abgeordnete Stefan Liebich, der 2011 auf Kosten der aserbaidschanischen Regierung nach Baku jettete, dort in einem Luxushotel untergebracht wurde und mit Champagner und Kaviar die Unabhängigkeit des Landes feierte, schweigt erst recht. Die Hoffnung, dass die Regierung in Baku so großzügig ist und erneut zu einer pompösen Feier mit Aliyew einlädt, dürfte zwar angesichts der gegenwärtig mageren Umfragewerte der Linkspartei schwinden – aber vielleicht sind auch Ex-MdB’ler der Aliyew-Regierung noch etwas wert.

Toros Sarian

[i] http://www.agos.com.tr/haber.php?seo=men-sulhe-ses-verirem&haberid=4288

[ii] http://www.anf.bz/news/guncel/ermeni-ve-azeri-kardesligini-savunan-yazar-ekrem-eylisli-ye-linc-kampanyasi.htm

[iii] http://en.apa.az/news/187286

[iv] http://www.sesonline.net/php/genel_sayfa.php?KartNo=57616