Traktor in Syunik

Nahles an der Spitze, SPD am Ende

Wer hätte erwartet, dass die SPD in der Wählergunst so tief sinken würde? Bei den letzten Landtagswahlen in Bayern konnte sie nicht einmal 10 % erreichen; bundesweit kommt sie bei den Umfragen nicht über 20 %. Der europaweite Abwärtstrend für sozialistische bzw. sozialdemokratische Parteien hat inzwischen auch die SPD erfasst. Wie tief sie fallen wird, ist nicht absehbar. Absehbar ist aber, dass sie als Oppositions- oder Regierungspartei keine bedeutende Rolle spielen wird, wie in der Vergangenheit.

Sozialdemokratische Allround-Politiker

Bislang lebte die SPD weitgehend davon, dass sie ihrer Wählerschaft versprach, sie vor dem ökonomischen und damit auch sozialen Abstieg zu bewahren. Diejenigen, die es doch treffen sollte, sollten zumindest mit staatlicher Förderung wieder aufsteigen können. Die relativ lange andauernde Phase der prosperierenden Wirtschaft hat die Frage der Arbeitslosigkeit in den Hintergrund gedrängt, diejenigen, die davon betroffen sind, wurden Opfer der von der SPD durchgesetzten Hartz 4 Regelungen. Für die „arbeitende Mittelschicht“ gibt es keinen Grund, die SPD zu wählen, für die Leidtragenden der Hartz 4 Politik hingegen gibt es einen Grund, sie nicht zu wählen. 

Programmatisch ähneln sich die Parteien inzwischen so weit, dass dem jeweiligen Spitzenkandidaten immer mehr eine wahlenentscheidende Rolle zufällt. Die SPD hat aber personell nichts anzubieten. Politikern wie Schulz, Scholz und Nahles besitzen weder Visionen und Charisma noch Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey – eine „Hoffnungsträgerin“ – wird verdächtigt, bei ihrer Doktorarbeit unerlaubt abgeschrieben zu haben. „Auch wenn das Vorgehen der Plagiatsjäger detailversessen und zuweilen kleinkariert wirkt, belegt es doch, dass Giffey vom Handwerk wissenschaftlichen Arbeitens nur einen blassen Schimmer hat“, meint Peter Grottian, einem Sozialwissenschaftler und emeritierten Professor an der FU Berlin.[1]

Es gibt vielleicht einen Fachkräftemangel in der Wirtschaft, aber in der Politik sind besondere Fachkenntnisse und Fähigkeiten kaum erforderlich, der „Apparat“ oder externe „Berater“ erledigt alles – oder auch nicht. Nirgendwo sonst stehen mittelmäßigen Akademikern solche Karrieremöglichkeiten offen, wie in der Politik. Die Allround-Politiker der Parteien sind in der Lage, ohne langwierige Umschulung oder Fortbildungskurse jede beliebige Leitungsfunktion im Staats- und Regierungsapparat zu übernehmen. Ein Beispiel dafür ist Olaf Scholz, ein studierter Jurist, der über die SPD eine bemerkenswerte Karriere machte: stellvertretender Parteivorsitzender, kommissarischer Parteivorsitzender, Innensenator und später Bürgermeister Hamburgs, Bundesminister für Arbeit und Soziales, Bundesminister für Finanzen und – nach eigener Überzeugung – auch ein geeigneter Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers. Mangelndes Selbstbewusstsein kann Scholz sicherlich nicht vorgeworfen werden.

Zuspitzen und polarisieren

Alles, was die SPD-Führung zu bieten hat, ist eine neu aufgewärmte linke Phraseologie, die sich die Parteimitglieder z.B. auf dem Parteikongress zur Europawahl begeistert anhören. Der rheinland-pfälzische Generalsekretär Daniel Stich verkündete ihnen die erfolgsversprechende Formel: „Wir brauchen die Zuspitzung im Wahlkampf„, denn „ohne Polarisierung gibt es keine Mobilisierung.“[2] Wenn die noch „Volkspartei“ SPD zuspitzt und polarisiert, heißt es selbstverständlich nicht „Populismus“.

Wie und gegen wen eine staatstragende Partei polarisieren und zuspitzen will, bleibt ein Rätsel. Die zwei politischen Pole sind klar besetzt: links „Die Linke“ und rechts mit der AfD. Dazwischen befinden sich die CDU/CSU, die FDP und die Grünen, alles potenzielle Koalitionspartner der SPD. Es gibt keine gesellschaftlich-politischen Themen, bei denen die SPD zuspitzen und polarisieren könnte. Nahles und die übrigen SPD-Führungsmitglieder haben nichts anzubieten außer rhetorische Aufputschphrasen, mit denen sie bestenfalls ihre Genossen auf Parteiversammlungen begeistern können, aber mehr nicht.

Zwei sozialdemokratische Lieblingsthemen sind Europa und der Kampf gegen die AfD. Was hat sie dazu anzubieten? Nichts als leere Phrasen, um Optimismus für das EU-Projekt zu verbreiten, an das inzwischen immer weniger Menschen glauben. Der Kampf gegen die AfD und „die Rechten“ ist ebenfalls nur Rhetorik und Phrasendrescherei, bei der sich gerade rechte Sozialdemokraten wie Johannes Kahrs – verbalradikal – besonders hervortun. Der Grund ist naheliegend: In seinem Wahlkreis Hamburg-Mitte erzielte die AfD ein relativ gutes Wahlergebnis. Kahrs und die sozialdemokratische Antifa denken, dass sie ihre nach rechts tendierende Wählerbasis dadurch halten können, indem sie die AfD als „Nazis“ oder „Neonazis“ abstempeln. Sind denn die SPD-Wähler im Wahlkreis von Kahrs, die nun für die AfD stimmen, Nazis oder Neonazis? Wenn ja, werden sie denn keine Nazis oder Neonazis sein, wenn sie wieder die SPD wählen?

Ohnehin geht der Rückhalt der SPD in ihrer einstigen Hochburg Hamburg zurück, so wie auch die Wahlbeteiligung: Während sie 2001 noch bei 71 % lag, ging es ständig zurück und lag 2015 bei nur noch 56,5 %. Das ist die geringste Wahlbeteiligung seit 1946.[3] Olaf Scholz konnte sich trotzdem als strahlender Sieger präsentieren. Hauptsache regieren, lautet die Devise der Politiker.

Die einst starken sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Italiens, Spaniens, Griechenland oder Frankreichs haben ihren politischen Einfluss längst verloren. Vielleicht wird die SPD noch glimpflich davonkommen, aber die alten Zeiten sind für sie vorbei. Mit den schnellen, tiefgreifenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte, haben sich die politischen Bedingungen grundlegend verändert. Die Folgen dieser strukturellen Umbrüche sind am Rückgang Stimmenanteils der SPD in Nordrhein-Westfalen besonders deutlich zu erkennen: 2017 erhielt sie dort mit 31,2 % weniger Stimmen als 1950 (32,3 %). Den Höhepunkt markierten 52,1 % bei den Wahlen 1985.[4]

Politisches Hartz 4

Die SPD ist heute vielleicht überflüssiger als jede andere Partei, die aus dem großen Wählerpool der Mittelschicht Stimmen erhält. Früher konnte sie sich etwas nach links bewegen, um bei Bedarf dort Wählerstimmen zu mobilisieren, heute ist es nicht mehr möglich. Zuerst verlor sie Wählerstimmen aus dem linken Segment der Mittelschicht an die Grünen. Nach 1990 hat sie mit der heutigen „Linkspartei“ einen weiteren linken Konkurrenten bekommen, der heute in den westlichen Bundesländern eine stabile Basis hat. Die SPD hat kaum Chancen, die Wähler, die sie an die Grünen oder die „Linke“ verloren hat, wiederzugewinnen. Zusätzlich muss sie damit leben, dass sie nun auch Wählerstimmen an die AfD verliert. Somit ist die Aussicht, bundesweit wieder zumindest auf 20% vorzurücken, wohl kaum realistisch. Wenn die staatlichen Gelder aufgrund der schlechten Wahlergebnisse geringer werden, dann wird der Niedergang der SPD sicherlich beschleunigt.

Auf dem politischen Markt gibt es heute mehr Angebote denn je. Die SPD hat aber nichts anzubieten, was andere Parteien nicht auch im Angebot hätten. Wer heute eine sozialdemokratische Politik sucht, findet bei der „Linkspartei“ eine Alternative, die – zumindest scheinbar – konsequenter und glaubwürdiger ist als die SPD. Insofern hatte Oskar Lafontaine eine richtige Entscheidung getroffen, als er die Partei verließ und sich dann am Aufbau einer linken Alternative zur SPD beteiligte. Aus Sicht seiner einstigen Genossen wurde er dadurch zwar zum „Verräter„, aber was ist Lafontaines „Verrat“ im Vergleich zu dem, was die SPD seit 1914 verraten hat?


[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/plagiatsvorwuerfe-gegen-familienministerin-wenn-giffey-klug-ist-sollte-sie-den-ruecktritt-vollziehen/24173748.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-europakonvent-in-berlin-genossen-geniessen-ihren-linkskurs-a-1259359.html

[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/3165/umfrage/wahlbeteiligung-bei-den-buergerschaftswahlen-in-hamburg-seit-1946/

[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/3165/umfrage/wahlbeteiligung-bei-den-buergerschaftswahlen-in-hamburg-seit-1946/