Glendale

Haben die USA den Genozid an den Armeniern bereits anerkannt?

Wie jedes Mal wurde auch im vergangenen Jahr im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen die Frage der Anerkennung des Genozids auf die politische Tagesordnung gebracht. Die Armenier wollen aus dem Munde der Kandidaten hören, dass im Osmanischen Reich ein Genozid stattgefunden hat und er dies bei seiner Wahl offiziell anerkennen werde. Es ist die Zeit des Kräftemessens der Lobbys beider Seiten, denn die türkische Regierung versucht natürlich mit allen diplomatischen Mitteln und mit Hilfe ihrer inzwischen beachtlichen eigenen Lobby eine Anerkennung des Genozids zu verhindern.

Die armenischen Wählerstimmen gingen meistens an den Kandidaten, der versprach, den Genozid anzuerkennen. Diejenigen, die den Sprung ins Weiße Haus schafften, vergaßen hinterher, was sie ihren armenischen Wählern versprochen hatten. Was sich in den USA seit Jahren in der Frage der Anerkennung abspielt, erscheint wie ein ewiger Kampf zwischen der Lobby des türkischen Leugnerstaates und der armenischen Gemeinschaft bzw. ihren Verbänden. Weil wir nun immer wieder Zeuge dieses Vorgangs werden, geht wohl jeder davon aus, dass noch kein US-Präsident den Genozid anerkannt hat. Genauso scheint auch der US-Kongress noch keinen Beschluss in dieser Frage gefasst zu haben.

Am 30. September 2008 – also im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen – erschien im armenischen Internet Nachrichtenportal PanArmenian.net ein Interview mit Harut Sassounian. Seit 1983 ist er der Herausgeber der in Los Angeles erscheinenden Wochenzeitung „The California Courier“. Die 1958 von dem Amerikaner George Mason gegründete Zeitung ist die älteste englischsprachige, armenische Zeitung in den USA. Wer jemals eine Ausgabe der „California Courier“ in die Hand bekommen hat, wird sich fragen, wie ein solches Blatt überhaupt einen so großen Bekanntheitsgrad erlangen konnte, denn nicht nur inhaltlich hat sie wenig zu bieten. Der wohl einzige Grund sind die Kolumnen des Herausgebers. Sein beliebtestes Thema sind die Türken und die Türkei. Bereits als er noch in der Schweiz lebte, hatte sich Harut Sassounian für die Anerkennung des Genozids an den Armeniern eingesetzt. Nach seiner Auswanderung in die USA setzte er dort den Kampf gegen die Leugnungspolitik der Türkei fort. Für einen armenischen Kolumnisten bietet das Thema natürlich unendlich viel Stoff zum schreiben. Die Popularität Harut Sassounians beruht weitgehend darauf, dass er mit seiner scharfen Kritik an der Türkei ganz nach dem Geschmack vieler Armenier in der Diaspora schreibt. Der Herausgeber des „California Courier“ hat aber nicht nur politisch eine herausragende Stellung innerhalb der armenischen Gemeinschaft in den USA. Nach der Unabhängigkeit Armeniens war er maßgeblich an der Organisierung von Hilfslieferungen beteiligt. Er sitzt sowohl in der Leitung der vom Multimilliardär Kirk Kirkorian geschaffenen Lincy Foundation als auch des United Armenian Funds, einem Zusammenschluss der größten armenischen Hilfsorganisationen in den USA.

Was der „Hardliner“ aus Los Angeles im Interview sagte, hätte die armenische Gemeinschaft eigentlich hellhörig machen müssen. Er wies auf einige anscheinend längst in Vergessenheit geratene Tatsachen im Zusammenhang mit der Anerkennung des Genozids hin: „Ich möchte die Leser daran erinnern, dass das US-Repräsentantenhaus bereits zwei Resolutionen zum Genozid an den Armeniern angenommen hat, den ersten 1975 und den zweiten 1984. Die Armenier brauchen nicht verlangen, dass jeder neu gewählte Kongress diese Faktizität, die sie bereits zwei Mal anerkannt hat, erneut anerkennt. Das gleiche trifft auch auf die US-Präsidenten zu. Präsident Ronald Reagan veröffentlichte bereits 1981 eine präsidiale Erklärung, worin der Genozid an den Armenier erwähnt wurde. Nach meiner Meinung ist weder eine weitere präsidiale Erklärung, noch ein Kongressbeschluss notwendig. Die Armenier brauchen bei den US-Präsidentschaftskandidaten nicht darum betteln, dass diese wieder von Genozid sprechen.“

Eigentlich hätte dieses Interview aber nicht nur unter den Armeniern, sondern auch in der Türkei Beachtung finden müssen, denn kaum ein anderes prominentes Mitglied der armenischen Diaspora findet dort so große Beachtung, wie Harut Sassounian. Doch entweder haben die türkischen Medienvertreter dieses Interview nicht gelesen oder sie haben es bewusst ignoriert. Da sagt einer, der in der Türkei als einer der Köpfe der „Armenierlobby“ dargestellt wird, es sei heute eigentlich gar nicht mehr notwendig, eine Genozid-Anerkennung durch den US-Präsidenten oder den US-Kongress zu verlangen. Er sagt, es gäbe keinen Grund, vom Kongress oder dem Präsidenten eine Bestätigung dessen zu verlangen, was bereits mehrmals erklärt und beschlossen wurde. Sassounian weiß, wovon er spricht, es ist schließlich ein Thema, womit er sich seit vielen Jahren beschäftigt und die Entwicklung aus nächster Nähe verfolgt. Es stellt sich die Frage, warum dieses Interview bis heute keine Beachtung gefunden hat. Und warum hat z.B. das von der ARF Daschnakzutiun gelenkte ANCA die Worte des Herausgebers des „California Courier“ ignoriert?

Je näher der 24. April heranrückt, desto spannender wird die Frage, ob US-Präsident Barak Obama, der vor seiner Wahl öffentlich die Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich als Genozid bezeichnet hatte, dies in seiner Ansprache am 24. April wiederholen wird. Auf armenischen Internetseiten werden Umfragen durchgeführt, um herauszufinden, wie die Leser die Chancen einschätzen, dass der US-Präsident sein Wort einhält. Derweil geben prominente armenische Wissenschaftler wie Ruben Safrastyan Prognosen ab, ob Präsident Barak Obama am 24. April von einem Genozid sprechen wird oder nicht. In türkischen Zeitungen wird untersucht, wie die Chancen diesmal stehen, ob die jüdischen Verbände sich wieder zugunsten der Türkei einsetzen werden, welche Druckmittel sonst vorhanden sind, um Präsident Obama davon abzuhalten, von einem Genozid an den Armeniern zu sprechen. Der Countdown hat begonnen und endet am 24. April. Es ist durchaus möglich, dass US-Präsident Obama in seiner Rede das Verbrechen als Genozid bezeichnet. Möglich ist aber auch, dass er eine Formulierung wählt, die unterschiedlich interpretiert werden kann, was aber eher der Türkei zugute kommen würde. Selbst wenn US-Präsident Obama von einem Genozid sprechen sollte, dann wird die Angelegenheit nicht beendet sein, weil die Armenier versuchen werden, die Frage wieder auf die Tagesordnung im Kongress zu bringen.

Am Ende des Interviews wird Harut Sassounian gefragt, wofür sich die armenische Gemeinschaft in den USA einsetzen sollte, wenn der Genozid nun bereits anerkannt worden sei. Die Antwort Sassounians auf diese Frage ist ebenfalls bemerkenswert: Die USA sollten verstärkt als Vermittler im Berg-Karabach Konflikt tätig werden, mehr Unterstützung für Armenien und Berg-Karabach leisten, für den Schutz der armenischen Minderheit in der Türkei eintreten und sich für die Rückgabe der historischen Kirchen an das Patriarchat in Konstantinopel einsetzen. Vielleicht ist Sassounian heute froh darüber, dass das, was er im September 2008 gesagt hat, von Freund und Feind ignoriert wurde.

Toros Sarian

27.02.2009