Yerevan

Von Kalifornien nach Berg-Karabach: Leben und Tod des Revolutionärs Monte Melkonian

Der Befreiungskrieg in Berg-Karabach hat viele tausend Menschenleben gekostet. In den über 5 Jahre andauernden Kämpfen befand sich zeitweilig mehr als die Hälfte des Gebiets unter der Kontrolle der aserbaidschanischen Streitkräfte. Die Shushi-Lachin Operation im Mai 1992 brachte schließlich die entscheidende Wende zugunsten der Armenier: Es gelang den armenischen Einheiten eine Verbindung zwischen Berg-Karabach und Armenien herzustellen. Am Befreiungskampf nahmen auch Armenier aus der Diaspora teil. Monte Melkonian war einer von ihnen. Er wurde am 12. Juni 1993 bei einem Gefecht getötet. Wer war der Mann, der in Berg-Karabach, in der Republik Armenien und in der Diaspora als Nationalheld verehrt wird?

Monte wurde am 25. November 1957 in Visalia in Zentralkalifornien geboren. Seine Vorfahren stammten aus Westarmenien. Vor allem nach den Massakern unter der Herrschaft Abdul Hamids flüchteten viele Armenier in die USA. Montes Eltern begaben sich gemeinsam mit ihren Kindern 1970 auf eine lange, abenteuerliche Reise nach Europa und in die Türkei. Diese Reise in das Land seiner Vorfahren und die Begegnung mit den dort noch verbliebenen Armeni­ern hinterließ bei Monte einen tiefen Eindruck. Im Alter von 15 Jahren ging er im Rahmen eines Schüler­austauschprogramms nach Japan. Von dort aus reiste er auf eigene Faust in andere Länder Südostasiens. In einem Interview aus dem Jahre 1992 betonte Monte, dass der Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes einen großen Eindruck bei ihm hinterlassen habe.

Nach seiner Rückkehr nach Kalifornien beendete Monte die Highschool und begann mit dem Studium der Frühgeschichte Asiens und der Archäologie an der Universität in Berkeley. Er beteiligte sich an einer Ausstel­lung an der Universität, bei der auch der Völkermord von 1915 behandelt wurde. Nachdem der türkische Kon­sul in San Francisco gegen diese Ausstellung protestierte, wurde die Ausstellung von der Universitätsleitung verboten. Monte beendete sein Studium mit einer Arbeit über die Geschichte Urartus. Nach Beendigung seines Studiums ging er 1978 in den Iran, wo er als Englischlehrer arbeitete. Gemeinsam mit anderen jungen Armeniern unternahm er eine Reise nach Iran-Kurdistan, wo sich eine nationale Befreiungsbewegung gebildet hatte. Ende 1978 ging Monte nach Beirut, das als Zentrum der neuen armenischen revolutionären Bewegung galt. Hier begann er auch Armenisch zu lernen. Im Frühjahr 1980 schloss sich Monte der militanten Untergrundorganisation Armenian Secret Army for the Liberation of Armenia (ASALA) an.

Monte war maßgeblich an der Ausbildung von Kämpfern und an der Vorberei­tung von Aktionen der Organisation beteiligt. Im November 1981 wurde er in Frankreich mit einem falschen Pass verhaftet. Nachdem es zu mehreren Bombenanschlägen in Paris kam, sah sich die französische Regierung gezwungen ihn freizulassen. Nachdem er in den Libanon zurückgekehrt war, kam es im Sommer 1982 zu der israelischen Invasion. Er und eine Gruppe von Kämpfern schlugen sich zu Fuß vom Südlibanon nach Beirut durch. Im Juli 1983 kam es zur Spaltung der ASALA. Monte und seine Anhänger waren gegen die Durchführung von politisch sinnlosen Anschlägen, bei denen unschuldige Zivilisten getötet oder verletzt wurden. Ihm wurde klar, dass die Organisation ohne eine klare revolutionäre politische Strategie in blinden Aktionismus verfallen würde. Die sich verschärfenden politischen Gegensätze innerhalb der ASALA führten schließlich zur Spaltung. Im November 1985 wurde Monte erneut mit einem gefälschten Pass und einer Waffe in Paris verhaftet und zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Anfang 1989 kam er schließlich frei und wurde in den Südjemen abgeschoben. Von dort reiste er nach Osteuropa, wo bereits der Zerfall der realsozialistischen Regime begonnen hatte. Im August 1991 ging er in das damalige Sowjetarmenien.

Monte kam in ein Land, das sich im Umbruch befand. In Aserbaidschan und Berg-Karabach wurde ein gnadenloser Vernichtungskrieg gegen die armenische Bevölkerung geführt. Aus seiner Gefängniszelle in Poissy hatte Monte Anfang April 1988 einen offenen Brief an die Prawda, dem Zentralorgan der KPdSU geschrieben. Das Parteiblatt hatte die Forderung der Armenier nach einer Vereinigung des Gebiets mit Sowjetarmenien heftig kritisiert. Monte wies die Schuldzuweisung an die Armenier entschieden zurück und unterstützte die demokratische Forderung des armenischen Volkes und seiner Vertreter: „Es gibt nur einen Weg zu einer befriedigenden Lösung der Lage in Berg-Karabach, mit dem sich das Volk identifizieren kann: Die politische und administrative Vereinigung mit Sowjetarmenien.“ Für Monte war es keine Frage, dass er sich dem Befreiungskampf in Berg-Karabach anschließen musste. Als er Ende 1991 dort eintraf, befanden sich die Armenier in einer scheinbar aussichtslosen Lage, denn die aserbaidschanischen Streitkräfte waren ihnen sowohl zahlenmäßig als auch von der Bewaffnung her weit überlegen.

Innerhalb kurzer Zeit bewies Monte seine großen militärischen und organisatorischen Fähigkeiten. Schließlich erhielt er das Kommando über die Südost-Front. Dort konnte er innerhalb kurzer Zeit eine schlagkräftige Truppe aufbauen, der es gelang, das Gebiet um Martuni erfolg­reich zu verteidigen. Die Einheiten Montes kämpften aber auch in anderen Teilen Berg-Karabachs. Im April 1993 gehörte er zum militärischen Stab, der die Operation zur Einnahme von Kelbadjar leitete. Es ist eine Ironie der Geschichte: Der legendäre Nationalheld Antranik Ozanian wurde von der damaligen armenischen Regierung unter Führung der ARF-Daschnakzutiun daran gehindert, mit seiner kampferprobten Einheit an der Verteidigung Berg-Karabachs teilzunehmen. Ohne Hilfe seitens der Regierung in Yerevan war der armenische Widerstand in Berg-Karabach zum Scheitern verurteilt. Im April 1919 musste Antranik Ozanian auf Druck der armenischen Regierung Armenien verlassen. Er starb 1927 in Kalifornien. Dort wurde 32 Jahre später Monte geboren, der an der Seite des armenischen Volkes in Berg-Karabach das Vermächtnis Antranik Ozanians erfüllen sollte.

Monte Melkonian war aber nicht nur ein hervorragender militärischer Führer. Als revolutionärer Sozialist setzte er sich für die Verbesserung der sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen der Menschen ein. In einem Land mit ausgepräg­ten patriarchalischen Strukturen bildete für ihn die Emanzipation der Frauen eine wichtige politische Herausforderung. Mit seiner Bescheidenheit, seinem Mut und seiner Entschlossenheit eroberte der Armenier aus der Diaspora die Herzen der Menschen in Berg-Karabach und gab ihnen Mut und Hoffnung. Monte zeigte, dass es möglich ist, ein Intellektueller zu sein, ohne elitär und abgehoben zu sein; dass man ein Patriot sein kann, ohne in Nationalismus und Chauvinismus zu verfallen. Als Monte Melkonian im Alter von nur 36 Jahren fiel, blieb sein politisches Werk unvollendet. Seine Vision von einem unabhängigen Armenien, wo soziale Gerechtigkeit, Recht und Demokratie herrschen, ist bis heute unerfüllt geblieben. Der frühe, unerwartete Tod Monte Melkonians bedeutete einen großen Verlust für die Armenier, denn er verkörperte wie kein anderer die Einheit zwischen Diaspora und Heimat.

Toros Sarian

10.06.2009

Literatur: The Right To Struggle, Selected Writings of Monte Melkonian on the Armenian National Question, Edited by Markar Melkonian, San Francisco 1993