Kaskade Jerewan

Faruk Sen und der Völkermord an den Armeniern

Kurz nachdem bekannt wurde, dass Faruk Sen, der Direktor des Zentrums für Türkeistudien in einem türkischen Wirtschaftsblatt die Türken als „die neuen Juden Europas“ bezeichnet hatte, beschloss der ZfT-Vorstand nach einer „seriösen Diskussion“ auf einer Sondersitzung ihn von seinen Aufgaben zu entbinden. Am 18. Juli soll die endgültige Entscheidung im Fall Faruk Sen fallen. Um ihn bis dahin vor der Tür zu halten, wurden nicht nur die Türschlösser des ZfT ausgewechselt: Sen erhielt Hausverbot und er muss auf seinen Dienstwagen verzichten.

Faruk Sen, der sich mit der Erforschung der Lebensverhältnisse der von ihm nun als „neue Juden Europas“ bezeichneten türkischen Migranten in Europa befasste, sieht sich – wie sollte es anders sein – als Opfer eines „politischen Attentats“. Besonders dürfte es ihn gefreut haben, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland ihm bescheinigte, dass er „seit Jahrzehnten ein Freund der jüdischen Gemeinschaft nicht nur in Deutschland“ sei. In einem Brief an NRW-Minister Laschet versicherte der Generalsekretär des Zentralrats, dass der seines Amtes enthobene Faruk Sen „weder ein Holocaust-Relativierer noch ein Antisemit“ sei.

Bei den Armeniern ist Faruk Sen allerdings dafür bekannt, dass er sich genauso wie der türkische Staat und die Vertreter der offiziellen türkischen Geschichtsdarstellung weigert, das Verbrechen an den Armeniern als Völkermord zu bezeichnen. Die Abgeordneten aller Bundestagsfraktionen hatten im Juni 2005 in einem Beschluss an die „organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern“ erinnert und „die Taten der jungtürkischen Regierung im Osmanischen Reich, die zur fast vollständigen Vernichtung der Armenier in Anatolien geführt haben“ verurteilt. „Zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Organisationen bezeichnen die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Völkermord“, heißt es in dem Bundestagsbeschluss. Die Abgeordneten kritisierten auch, dass „diese fast vergessene Verdrängungspolitik des Deutschen Reiches zeigt, dass dieses Kapitel der Geschichte auch in Deutschland bis heute nicht befriedigend aufgearbeitet wurde.“

Beim promovierten Betriebswirt, der seit 1985 das Zentrum für Türkeistudien leitet, scheint dieser Beschluss, der trotz aller Erpressungsversuche und Drohungen sowohl türkisch-nationalistischer Verbände in Deutschland als auch der türkischen Regierung angenommen wurde, nicht zum Nachdenken über die Verdrängungs- und Leugnungspolitik der Türkei geführt zu haben. In einem Interview mit dem Deutschlandradio im März 2006 sagte er, dass die Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich kein Völkermord gewesen sei. Er bezeichnete „dieses Massaker als eine Schande für die türkische Geschichte“, aber „jeder Wissenschaftler von USA bis Österreich geht davon aus“, so Faruk Sen, „dass die Armenier vorher auch mit der Unterstützung der russischen Armee auch gegenüber den Türken, die in der Gegend leben, auch Massaker ausgeübt haben“. Prof. Dr. Wolfgang Benz, der Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, kritisiert – ebenfalls im Deutschlandradio – die Äußerungen des ZfT-Direktors und bezeichnete sie als „völligen Blödsinn“. „Das Leugnen von historischen Ereignissen ist unwissenschaftlich und bloße Agitation und Propaganda“, stellte Benz klar. Auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen im NRW-Landtag, Monika Düker, zeigte sich „sehr irritiert“. Faruk Sen „wäre gut beraten, dazu noch einmal Stellung zu nehmen und ob er sich da in seinen Äußerungen nicht verrannt hat“, sagte die Grünen-Politikerin. NRW-Integrationsminister Armin Laschet, der zugleich Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung ZfT ist, kritisierte die Äußerungen Faruk Sens vorsichtig als „nicht sehr hilfreich“ und versprach, er werde „bestimmt ein Wort mit ihm sprechen“. Was die beiden damals besprochen haben, ist nicht bekannt, aber die Tatsache, dass der Direktor des ZfT rund ein Jahr später weiterhin am Völkermord an den Armeniern zweifelt, zeigt, dass sich der Wunsch des Ministers und Kuratoriumsvorsitzenden nach einem „etwas klareren Eingeständnis“ Faruk Sens nicht erfüllt hat. Kurz vor dem 92. Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern wiederholte der ZfT-Direktor in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die bekannte offizielle türkische Sichtweise: „Es herrschten im Osmanischen Reich damals bürgerkriegsähnliche Zustände. Nicht nur Armenier, sondern auch hunderttausende Türken kamen ums Leben.“ Sen behauptete ferner, dass die „Opfer lediglich dazu benutzt werden, die Türkei unterschwellig zu diskreditieren“.

Die „Diskreditierung der Türkei“ – im türkischen Strafrecht als „Beleidigung des Türkentums“ unter Strafe gestellt – ist etwas, wogegen nationalistische Türken besonders allergisch reagieren. Bereits Anfang 2001, als Frankreich den Völkermord anerkannte, hatte sich SPD-Mitglied Faruk Sen in der auflagenstarken türkisch-nationalistischen Tageszeitung „Hürriyet“ als Frontmann der offiziellen türkischen Sichtweise in Deutschland zu Wort gemeldet – und die durch den Vorwurf des Völkermordes in ihrem „Nationalstolz“ gekränkten Türken zu Taten aufgerufen: „Nachdem Frankreich diesen inakzeptablen Beschluss gefasst hat, sollte eine ernsthafte Boykottbewegung begonnen werden.“ Als Erstes empfahl er, dass die Türken nicht mehr mit Air France fliegen sollten. Was Frankreich getan habe, war in den Augen des Professors„unentschuldbar“, denn schließlich sei durch die Anerkennung des Völkermordes der „Nationalstolz der Türken verletzt“ worden. Den Beschluss, der in allen Fraktionen in der französischen Nationalversammlung Zustimmung gefunden hatte, bezeichnete Faruk Sen nicht nur als „anti-demokratisch“, dieser verletze auch die französische Verfassung. Frankreich habe sich vor der Geschichte schuldig gemacht und die Türkei müsse – gewissermaßen als Strafmaßnahme – in allen Bereichen die Beziehungen zu diesem Land einschränken. Der Migrationsforscher und Frankreich-Boykotteur wurde 2003 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Faruk Sen wird wohl – wie es abzusehen war – seinen Posten im ZfT „im gegenseitigen Einvernehmen“ mit Minister Laschet und anderen Verantwortlichen aufgeben und sich im Dienste Deutschlands neuen Aufgaben in der Türkei widmen. Vielleicht sollte Minister Laschet ihn zum Abschied daran erinnern, dass der Bundestag gefordert hat, „dass sich Parlament, Regierung und Gesellschaft der Türkei mit ihrer Rolle gegenüber dem armenischen Volk in Geschichte und Gegenwart vorbehaltlos auseinandersetzen“.

Toros Sarian

15.07.2008