Ararat

Die Lage nach dem russisch-georgischen Krieg

Der russisch-georgische Krieg liegt nun über sechs Monate zurück und die anfängliche Empörung des Westens über Russland hat sich gelegt. Süd-Ossetien und Abchasien sind nicht mehr Teil Georgiens, auch wenn die internationale Staatengemeinschaft die Unabhängigkeitserklärung dieser zwei Gebiet nicht anerkannt hat. Es ist damals viel über die Folgen des Krieges in der Region spekuliert worden. Würde der Krieg Auswirkungen auf die Entwicklung in der Berg-Karabach Frage haben und würde es zu einer Schwächung des türkischen Einflusses im Südkaukasus kommen, lauteten die zwei wichtigen Fragen auf armenischer Seite.

Überwiegend wurde die Ansicht vertreten, dass nach dem gescheiterten Versuch Georgiens, gewaltsam die Kontrolle über das abtrünnige Südossetien zu erlangen, die Regierung in Baku eingesehen hätte, dass sie in Berg-Karabach ebenfalls militärisch scheitern würde. Außer der Auswirkung des russisch-georgischen Krieges auf Aserbaidschans Politik, stellte sich die Frage, welche Auswirkungen die neu entstandene Lage auf die türkische Politik im Südkaukasus hat. Genauso wie Russland, betrachtet auch die Türkei den Südkaukasus als ihr „Interessengebiet“. Der Bau der Öl-Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan und die Eisenbahnverbindung Kars-Tiflis-Baku, mit deren Bau begonnen wurde, sind die zwei wichtigsten Projekte in der Region, bei deren Umsetzung die Türkei eine Schlüsselrolle spielte. Geplant ist nun auch von Baku aus eine Gas-Pipeline nach Europa zu verlegen – natürlich wieder über Georgien und die Türkei. Die Pipelines verschaffen Georgien und der Türkei nicht nur Bedeutung als Transitland für Erdöl und Erdgas, sondern bringen zudem auch beträchtliche „Transitgebühren“ in die Staatskasse.

Der Versuch der USA, Russlands Präsenz im südlichen Kaukasus zu beenden, ist gescheitert. Mehr noch: In Südossetien reagierte Moskau härter und entschlossener als in Washington erwartet. Der russisch-georgische Krieg kam für Ankara überraschend und der russische Sieg scheint den türkischen Einfluss in der Region in Frage zu stellen. Von den drei Staaten im Südkaukasus haben inzwischen zwei – Georgien und Aserbaidschan – einen erheblichen Teil ihres ursprünglichen Staatsterritoriums verloren. Beide sind mehr oder weniger enge Verbündete der Türkei und des Westens. Die neue Lage erweist sich bei näherer Betrachtung trotzdem als vorteilhaft für die Türkei – und auch für Aserbaidschan: Georgien, das aus dem Krieg geschwächt hervorgegangen ist, bleibt noch mehr auf diese zwei Nachbarn angewiesen. Die USA mussten einsehen, dass Russland sich nicht von einer Bananenrepublik aus der Region hinaus drängen lässt. Obwohl Washington und Tiflis in einem Vertrag ihre strategische Partnerschaft bekräftigt haben, wird die Bedeutung der Türkei als verbündete Regionalmacht für die USA und auch die EU zunehmen.

Die Regierung in Ankara kann zufrieden sein: Die Verbindung nach Aserbaidschan bleibt offen und Russland scheint jetzt eher darum bemüht zu sein, seine neuen Protektorate zu halten und ihre völkerrechtliche Anerkennung durchzusetzen, wobei die Türkei zumindest die Unabhängigkeit Abchasiens unterstützt. Das Nabucco-Projekt kann verwirklicht werden, wodurch die Bedeutung der Türkei, Aserbaidschans und auch Georgiens für den Westen zunimmt. Die Tatsache, dass Russland den Völkermord an den Armeniern anerkannt hat und als wichtigster Verbündeter Armeniens gilt, hindert die türkische Regierung nicht daran, seine Beziehungen zum russischen Nachbarn weiter zu verbessern. Mit dem vor wenigen Tagen erfolgten Staatsbesuch Abdullah Güls in Russland hat die Türkei wieder die “Moskauer Karte” ins Spiel gebracht, um gegenüber dem Westen aufzutrumpfen. Die Türkei – so lautet die Botschaft an die westlichen Verbündeten – hat mehrere außenpolitische Optionen und wird immer eine Politik betreiben, die den nationalen Interessen des Landes entspricht.

Für Armenien, dessen politische, militärische und auch wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland bekannt ist, bringt eine Vertiefung und Fortsetzung der Feindschaft zwischen Russland und Georgien für unabsehbare Zeit große Probleme mit sich. Dem Land wird wegen seiner pro-russischen Orientierung von der georgischen Regierung mit noch mehr Misstrauen und sogar Feindseligkeit begegnet. Hinzu kommt, dass nach dem Verlust von Abchasien und Südossetien die Befürchtung zunimmt, dass die Armenier in Javakh verstärkt für Autonomie oder einen Anschluss an Armenien eintreten könnten. Solange die türkisch-armenische Grenze gechlossen bleibt, ist Armenien aber auf das Wohlwollen Georgiens angewiesen, denn die georgischen Häfen an der Schwarzmeerküste bilden die wichtigste Verbindung nach außen. Diese Abhängigkeit wurde während des russisch-georgischen Krieges deutlicher denn je. Angesichts der ungünstigen eigenen Lage, kann die Regierung in Yerevan den Armeniern in Javakh kaum wirklich helfen. Die türkisch-aserbaidschanische Blockade Armeniens kommt also auch Georgien zugute und wird skrupellos ausgenutzt.

Der russisch-georgische Krieg hat nicht, wie anfangs vielleicht in Ankara befürchtet, zu einem Rückgang des türkischen Einflusses im Südkaukasus geführt. Vielmehr scheinen sich Ankara und Moskau, die ihre Beziehungen in den vergangenen Jahren stetig ausgebaut haben, im Südkaukasus geeinigt zu haben. Einzig das Nabucco-Pipeline Projekt könnte vielleicht zu einer Trübung der russisch-türkischen Beziehungen führen. Die Tatsache, dass Russland und Armenien sich als strategische Verbündete betrachten, ändert nichts daran, dass Russland die Isolation Armeniens nicht beenden kann. Diese Isolation hat nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung des Landes erheblich behindert, sondern gefährdet auch die Sicherheit Armeniens und Arzachs, denn im Falle eines erneuten Krieges mit Aserbaidschan werden sie auf militärischen Nachschub aus Russland angewiesen sein. Wird Georgien in einer solchen Situation eine ungehinderte Versorgung Armeniens mit Waffenlieferungen aus Russland zulassen?

Armeniens Position hat sich nach dem russisch-georgischen Krieg eher verschlechtert. Es ist völlig offensichtlich, dass die Blockade des Landes inzwischen zu einer bedrohlichen Lage geführt hat. Die außen- und sicherheitspolitische Aufgabe besteht heute darin, diese Isolation zu beenden, denn im Falle eines Krieges könnte die Unterbrechung bzw. der Zusammenbruch der Versorgung aus Russland katastrophale Auswirkungen haben. Als einziger Ausweg aus dieser Lage erscheint eine Annäherung an die Türkei, damit sie die Grenze öffnet. Zu welchen Reaktionen wäre es wohl gekommen, wenn Levon Ter-Petrosyan die Wahlen gewonnen und als Präsident Armeniens Abdullah Gül nach Yerevan eingeladen hätte? Besonders interessant und auffällig ist sicher das Verhalten der ARF Daschnakzutiun, die über zehn Jahre in der Regierungskoalition die Türkei-Politik unter Robert Kocharyan unterstützt hat und heute die Politik von Serge Sarkisyan toleriert, um weiterhin Macht und Einfluss ausüben zu können. Auffallend still haben sich auch die ARF Daschnakzutiun nahen Organisationen in der Diaspora verhalten, als die armenische Regierung ihre Bereitschaft zur Gründung einer „Historiker-Kommission“ signalisierte.

Über 10 Jahre lang wurde so getan, als ob Armenien trotz der Isolation in der Lage wäre, sich zu entwickeln. Heute wird immer deutlicher, dass die Weichenstellung des Nationalen Sicherheitsrats im Januar 1998 der Türkei und Aserbaidschan zugute gekommen ist. Die Zeit war nicht auf der Seite Armeniens, sondern auf der Seite Ankaras und Bakus. Dort sieht man, dass die gemeinsame Blockade-Politik jetzt Früchte trägt. Der Preis, den Armenien für ein Ende der Blockade entrichten müsste, ist unverändert hoch: Der Verzicht auf die Anerkennung des Völkermordes und die Aufgabe Berg-Karabachs. Wird die Koalition unter Serge Sarkisyan, die sich auf über 90% der Abgeordneten im Parlament stützt und damit als „Regierung der nationalen Einheit“ bezeichnet werden könnte, bereit sein, diesen Preis zu zahlen?

Toros Sarian

17.02.2009