Eine schönes Weihnachtsgeschenk hätte es für die Armenier werden können, aber am Ende ist es so gekommen, wie es eigentlich zu erwarten war: Im US-Abgeordnetenhaus ist es nicht zu einer Abstimmung über einen Antrag gekommen, worin der Völkermord an den Armeniern anerkannt wird. Dabei hatte eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus längst ihre Bereitschaft bekundet, für die Annahme des Antrags HR 252 zu stimmen.
In den vorangegangenen Tagen hatte die Regierung in Ankara wie immer alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Druck auf Washington auszuüben. Seit der Veröffentlichung von verächtlichen Kommentaren amerikanischer Diplomaten über türkische Politiker durch Wikileaks sind die türkisch-amerikanischen Beziehungen ohnehin gespannt. „Die Beziehungen zur Türkei sind wichtiger denn je“, versicherte Präsident Obama der Regierung in Ankara. Es kann also nicht überraschen, dass Washington wieder einmal nachgegeben hat.
Nach der Wahl Obamas waren die Aussichten für eine Anerkennung des Genozids gestiegen. Nancy Pelosi, die Sprecherin des Abgeordnetenhauses, unterstützte dies ebenfalls. Obwohl also alle politischen Schlüsselfiguren in Washington sich zugunsten einer Anerkennung ausgesprochen hatten, ist es in den vergangenen zwei Jahren trotzdem nicht dazu gekommen.
Was können die armenischen Verbände, die einen Großteil ihrer Aktivitäten darauf konzentrieren, Regierung und Kongress in Washington endlich zu der überfälligen Anerkennung des Völkermords an den Armeniern zu bewegen, überhaupt noch erreichen? Idealer als in den vergangenen 3 Jahren konnte die politische Konstellation für sie nicht sein: Sowohl Präsident Barak Obama, als auch sein Vize Joe Biden, Außenministerin Hillary Clinton und Nancy Pelosi, die Sprecherin des Abgeordnetenhauses, hatten sich in der Vergangenheit klar für eine Anerkennung des Völkermords ausgesprochen. Umso enttäuschender ist das, was die Armenier erleben.
In der Hürriyet Daily News vom 23.12.2010 wurden als die drei Trümpfe Ankaras genannt: Das Weiße Haus, das Außenministerium und die großen Rüstungsunternehmen. Gegen diese hatten die „Trümpfe“ der US-Armenier kaum eine Chance: Kim Kardashian, Serj Tankian und die zwei großen armenischen Verbände Armenian National Committee of America (ANCA) und Armenian Assembly of America (AAA).
Nun naht aber wieder der 24. April und die US-Armenier werden trotz wiederholter Niederlagen weiterhin darauf drängen, dass der Völkermord endlich anerkannt wird. Die Kommentatoren in den armenischen Zeitungen werden wieder darüber spekulieren wie die Aussichten stehen. Natürlich bietet das Thema auch für die türkischen Medien eine willkommene Beschäftigung. Dabei dürfte keiner ernsthaft daran glauben, dass Obama dieses Jahr endlich sein Versprechen einhält und das Verbrechen als Völkermord bezeichnet.
Es ist für die USA vorteilhaft, wenn jedes Jahr die Frage der Anerkennung des Völkermords auf die Tagesordnung in Washington kommt: Der Preis, den die türkische Regierung zahlen muss, damit das Weiße Haus die drohende Anerkennung in letzter Minute abwendet, bleibt ein Staatsgeheimnis. Aber die türkische Regierung hat längst gelernt mit der Situation umzugehen: Es werden rechtzeitig künstlich „Meinungsverschiedenenheiten“ zur US-Politik geschaffen, über die dann verhandelt werden kann, wenn in Washington wieder die Frage des Völkermords aufgeworfen wird.
In Washington rechnet man fest damit, dass die „Armenische Lobby“ weiterhin aktiv bleibt, um die Anerkennung durchzusetzen. Was würde passieren, wenn die armenischen Verbände in den USA auf die Forderung nach Anerkennung des Völkermords vorläufig verzichteten? Vermutlich würden das Weiße Haus und das Außenministerium selber die Abgeordneten drängen, eine Völkermord-Resolution auf die Tagesordnung zu bringen, um ein Druckmittel bei Verhandlungen mit Ankara in der Hand zu haben.
Die Frage der Anerkennung des Völkermords an den Armeniern wird also auch in Zukunft regelmäßig auf die Tagesordnung in Washington kommen, weil es bei der Gestaltung der US-Außenpolitik gegenüber der Türkei unverzichtbar geworden ist. Die US-Regierung wird dieses beliebte Druckmittel nicht aus der Hand geben.