Waffen werden für Kriege produziert, mit der Waffenproduktion verdienen Rüstungsunternehmen viel Geld und jeder Krieg bedeutet für sie Gewinnquellen. Doch es sind die Regierungen, die dieses blutige Geschäft ermöglichen und fördern. Während die Rüstungsindustrie eine stets fließende Einnahmequelle hat, dienen der Waffenhandel und die Aufrüstung von bestimmten Staaten politischen und militärischen Interessen. Die USA haben nicht nur den mit Abstand höchsten Militäretat, sondern sind auch der größte Waffenexporteur. Deutschland, das sich mit der Rolle einer moralischen Macht begnügen muss, spielt im Waffenhandel eine untergeordnete Rolle, obwohl es als Industrienation auf eine große Erfahrung bei der Herstellung von Tötungsmaschinen zurückblicken kann. Deutschland hat zwar in zwei von ihr entfachten Weltkriegen Niederlagen hinnehmen müssen, aber der Mythos seiner Waffen ist davon unbeschadet geblieben. Die vor einigen Jahren bekannt gewordenen „erheblichen Mängel“ des Bundeswehr-Standardsturmgewehrs G36[1] und das kürzlich im Atlantik explodierte ein argentinisches U-Boot aus deutscher Produktion[2] haben aber am Image der deutschen Rüstungsindustrie einige Kratzer hinterlassen.
Besonders ärgerlich und blamabel dürfte die Zerstörung von Leopard-2-Panzern gewesen sein, die letztes Jahr von den türkischen Streitkräften im Kampf gegen den IS in Syrien eingesetzt wurden: „IS-Kämpfer zerstören den deutschen Panzer-Mythos“, lautete die Schlagzeile der Welt.[3] Der eigentliche Härtetest für einen Panzer – oder andere Waffen – erfolgt eben im realen Kampfeinsatz, und da wurden die Schwächen der Leoparden deutlich. Doch auch dies dürfte letztlich zu einem profitablen Geschäft werden, denn nun muss ein Upgrade der Leoparden durchgeführt werden. Dies wurde zwar bereits vereinbart, aber nach der Invasion der türkischen Armee in Afrin, vorläufig auf Eis gelegt; die Empörung über die Menschenrechtsverletzungen der Erdoğan-Regierung zwingt Berlin zu einer Schamfrist.
Wozu Waffenexporte?
Die weitverbreitete Auffassung, es gehe bei den deutschen Rüstungsexporten vor allem um ein lukratives Geschäft, scheint auf den ersten Blick plausibel zu sein. Aber bei genauerer Betrachtung der Summen, um die es geht, stellt sich die Frage, ob Rüstungsexporte wirklich von so großer wirtschaftlicher Bedeutung sind. Im Jahr 2016 betrugen die deutschen Exporte 1.207,5 Milliarden Euro.[4] Die Bundesregierung erteilte im gleichen Jahr Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von 6,85 Milliarden Euro.[5] Rüstungsgüter sind im Gesamtvolumen der Exporte also nur „Peanuts“.
Wenn also Waffenexporte für die deutsche Wirtschaft kaum eine Rolle spielen, stellt sich die Frage, worin ihre Bedeutung dann liegt. Warum muss sich der Bundessicherheitsrat mit einer Frage befassen, bei der es eigentlich nur um „Peanuts“ geht? Es sind also eher sicherheitspolitisch und strategisch bedeutende Fragen, über die entschieden werden muss. Moralische Bedenken über einen möglichen völkerrechtswidrigen Einsatz deutscher Waffen durch Staaten wie die Türkei oder Saudi-Arabien dürften wohl keine Rolle im Bundessicherheitsrat spielen.
Exportgewinne zur Finanzierung neuer Waffensysteme
Die Rüstungsindustrie in Deutschland spielt wirtschaftlich betrachtet keine nennenswerte Bedeutung, aber politisch und technologisch ist sie weiterhin wichtig. Staaten, die für sich eine weltpolitische Rolle beanspruchen, können es sich nicht leisten, auf eine eigene Rüstungsproduktion zu verzichten, die Rüstungstechnologie zu vernachlässigen und ihre Armee mit fremden Waffen auszurüsten und somit in Abhängigkeit zu geraten. Die Fähigkeit, Waffensysteme eigenständig herstellen zu können, ist für einen weltpolitisch ambitionierten Staat somit von strategischer Bedeutung.
Die Bedeutung der deutschen Rüstungsindustrie besteht darin, den technologischen Anschluss an die anderen Waffen produzierenden Staaten nicht zu verlieren. Investitionen in neue Waffensysteme lohnen sich nur, wenn eine Massenproduktion und der Verkauf ins Ausland für Gewinne sorgen. Nur mit der Bundeswehr als Abnehmer könnten die deutschen Waffenbauer wirtschaftlich nicht überleben. Entweder müssen sie direkt staatlich subventioniert werden oder sie müssen einen Teil ihrer Gewinne durch Waffenexporte erwirtschaften. Der Anteil der Rüstungsproduktion an der Gesamtwirtschaft ist zwar relativ gering, aber die Milliarden aus den Rüstungsexporten sind für deutsche Waffenhersteller eine wichtige Einnahmequelle.
Es geht also darum, dass die Politik den Rüstungsunternehmen Exportmöglichkeiten verschafft, damit diese Profite durch Auslandsgeschäfte machen, die sie dann wiederum in die Entwicklung neuer Waffensysteme investieren können. Die Sicherung der Existenz einer eigenen Rüstungsindustrie, die in der Lage ist, hochmoderne Waffensysteme zu produzieren, ist ein wesentlicher Bestandteil der Sicherheitspolitik. Ob diese Waffen militärisch tatsächlich tauglich sind und die Erwartungen erfüllen, ist dann eine Frage, die durch ihren Einsatz in einem Krieg beantwortet werden kann.
Türkische Dummys für deutsche Panzerbauer
Deutsche Panzerbauer haben offensichtlich eine große Vorliebe für gefährliche Raubkatzen: im 2. Weltkrieg war es der Tiger, der den Panzer-Mythos begründete, jetzt ist es der Leopard. Tiger oder Leopard klingen gefährlicher als die russische T90 oder die amerikanische M1 Abrams. Ein möglicher Nachfolger des Leopard-2 dürfte wahrscheinlich Löwe genannt werden. Doch derzeit müssen die deutschen Leoparden beweisen, dass sie im Kampfeinsatz doch tauglich sind. Deshalb dürften die deutschen Panzerbauer vermutlich mit großer Spannung die Entwicklung in Afrin verfolgen.
Autos müssen sich in unzähligen Tests als fahrtauglich erweisen, in Crashtests werden Dummys in die Fahrzeuge hineingesetzt. Erst nach einer langen, kostspieligen Testphase geht es in die Serienproduktion und in den Verkauf. Danach werden sich die Fahrzeuge im täglichen Straßenverkehr technisch bewähren müssen, um auf dem hart umkämpften Automarkt bestehen zu können. Mit Waffen ist es ähnlich: Ein Leopard-2-Panzer muss schließlich beweisen, dass er kriegstauglich ist. Die US-Rüstungsindustrie kann ihre Waffen in ständigen Kriegen in verschiedenen Regionen der Welt einsetzen und „testen“. Diese „Chance“ haben deutsche Unternehmen nicht, jedenfalls nicht in dem Ausmaß wie ihre amerikanischen Konkurrenten. Ein G36-Sturmgewehr auf dem Schießstand und bei gelegentlichen Manövern einzusetzen, bringt nicht die gleichen Erkenntnisse, wie wenn man sie bei realen Gefechten einsetzt.
Ein großes „Problem“ der deutschen Rüstungsindustrie sind die fehlenden echten „Testbedingungen“ für ihre Waffen. Es stellen sich Fragen wie: Wird ein Panzer „Made in Germany“ auch in den Bergen Afghanistans voll einsatzfähig sein? Werden deutsche Hubschrauber unter den extremen, klimatischen Bedingungen in der Wüste Malis funktionieren? Wie einfach ein deutscher Panzer zu zerstören ist, haben IS-Kämpfer bewiesen. Für türkische Panzerbesatzungen endete das Vertrauen in deutsche Waffen tödlich. Manchmal sind aber auch deutsche Soldaten betroffen: Im Juli 2017 stürzte ein Bundeswehrhubschrauber in Mali ab, als während des Fluges Rotorblätter abfielen; ein ungewöhnlicher „Unfall“ der deutsch-französischen Gemeinschaftsproduktion.[6] Nur wenige Waffen wie die legendäre AK47 (Kalaschnikow) haben sich unter höchst unterschiedlichen Bedingungen als zuverlässig erwiesen. In der Waffentechnologie scheint das industriell hoch entwickelte Deutschland kaum konkurrenzfähig zu sein. Aber durch „Auslandseinsätze“ bieten sich inzwischen gewissermaßen ideale Bedingungen zum Testen der Truppen und ihres Waffenarsenals.
Vielleicht ist die Verärgerung der deutschen Regierung über den erneuten Einsatz von Leoparden – dieses Mal deshalb so groß, weil sie es lieber gesehen hätten, wenn vor der Invasion in Afrin zuerst ein Upgrade der Panzer durchgeführt worden wäre. So hatten es wohl Außenminister Gabriel und sein Kollege Çavuşoğlu kürzlich vereinbart. Aber für die Panzerbauer von Krauss-Maffei Wegmann dürfte der Krieg in Afrin gelegen kommen, denn sie bietet ihnen eine neue Möglichkeit, um ihr Prestigeprodukt im Kampfeinsatz zu „testen“, wobei die türkischen Soldaten ihnen gewissermaßen als Dummys dienen.
Die drohende Niederlage der türkischen Armee in Afrin könnte das Ende der seit über 150 Jahren dauernden Aufrüstung der Türkei mit deutschen Waffen einläuten. Das wäre für Deutschland schmerzlich, aber nicht für die Türkei, denn sie kann sich die erforderlichen Waffen auch woanders besorgen. Der im September 2017 mit Russland abgeschlossene Vertrag über den Kauf des S-400-Raketenabwehrsystems zeigt, dass die Türkei trotz Einwände ihrer Verbündeten Waffen vom NATO-Gegner kaufte.[7] Außerdem hat sie inzwischen auch ein ehrgeiziges Programm zum Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie.[8]
Quellen:
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-sieht-erhebliche-maengel-beim-sturmgewehr-g36-a-922280.html
[2] http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/u-boot-san-juan-ermittlungen-gegen-deutsche-firmen-15333203.html
[3] https://www.welt.de/wirtschaft/article161078829/IS-Kaempfer-zerstoeren-den-deutschen-Panzer-Mythos.html
[4] https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/02/PD17_045_51.html
[5] http://www.waffenexporte.org/wp-content/uploads/2017/02/Rüstungsexportbericht-2016.pdf
[6] https://www.welt.de/politik/article167509418/Deutscher-Kampfhubschrauber-verlor-schon-im-Flug-Rotorblaetter.html
[7] https://www.welt.de/politik/ausland/article168554017/Tuerkei-kauft-russisches-Raketenabwehrsystem.html
[8] http://www.handelsblatt.com/my/unternehmen/industrie/tuerkische-verteidigungsindustrie-ankara-ruestet-auf/20132762.html?ticket=ST-1006743-6JMzQavsdZwjlaTmacIT-ap3
Der Artikel erschien auch auf der Webseite Civaka Azad