Eriwan

Aserbaidschans Lobby und die Politik der Pressemitteilungen des Zentralrats der Armenier in Deutschland

Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist eine Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit und haftet für Verbindlichkeiten durch das Geschäftsvermögen. Die „Gesellschaft zur Förderung der deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen mbH“ scheint eine Kapitalgesellschaft ganz besonderer Art zu sein, denn sie betätigt sich offenbar nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Wie nicht anders zu erwarten ist, sieht sie ihre Aufgabe darin, „Solidaritätsarbeit“ im Sinne der Regierung in Baku zu betreiben.

Geschäftsführer dieser GmbH ist Eduard Lintner. Der 1944 im Sudetenland geborene CSU-Politiker wurde 1976 Bundestagsabgeordneter und gehörte der CDU/CSU Fraktion an, als im Juni 2005 im Bundestag ein Antrag zum Völkermord an den Armeniern angenommen wurde. Lintner war Staatssekretär im Innenministerium und sechs Jahre lang Drogenbeauftragter der Regierung. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag übernahm er die Leitung der GmbH, um sich um die deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen zu kümmern.

Anlässlich des Weltflüchtlingstags hat diese Kapitalgesellschaft besonderer Art zu einem „Diskussionsforum“ mit dem Titel „Flucht und Vertreibung – Verbrechen an Menschen“ eingeladen. Als Veranstaltungsort dient die „Deutsche Parlamentarische Gesellschaft“. Ob nun viele Besucher am „Diskussionsforum“ teilgenommen haben oder nicht: Allein die Tatsache, dass drei Bundestagsabgeordnete – alle aus der CDU/CSU Fraktion – als Referenten für eine Veranstaltung gewonnen werden konnten, wo es eindeutig darum geht, die Position der aserbaidschanischen Regierung zu präsentieren und die Armenier als Okkupanten und Aggressoren darzustellen, die sogar einen Völkermord verübt hätten, ist aus armenischer Sicht natürlich ein Grund zur Beunruhigung.

In dem mit der Einladung verbreiteten Text über die Entwicklung des Krieges in Berg-Karabach heißt es: „Ab Anfang 1988 begann Armenien mit russischer Militär- und Finanzhilfe seine Okkupationspolitik in die Tat umzusetzen. Es fing mit der Einnahme aserbaidschanischer Siedlungen in Berg-Karabach an. Die vereinigten armenischen und russischen Truppen besetzten Mitte April Garadaghly, die wehrlosen Einwohner wurden verletzt und getötet. Das tragischste Ereignis fand in der Nacht zum 26. Februar 1992 statt, als armenische Truppen einen schrecklichen Völkermord an den Aserbaidschanern in Chodschali verübten.“ Der einstige Drogenbeauftragte der Bundesregierung vergisst natürlich nicht, auf die negativen Folgen des „Okkupationskrieges“ für Europa hinzuweisen: „Armenien brachte dabei auch ein 198 km langes Teilstück der Grenze zwischen Aserbaidschan und Iran unter seine Kontrolle. Über diese Grenze hat sich mittlerweile ein lebhafter Drogen- und Waffenhandel etabliert. Außerdem findet über diese Grenze illegaler Menschenhandel von Asien nach Europa statt.“ Wer Kapital in die „Gesellschaft zur Förderung der deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen mbH“ investiert hatte, dürfte zufrieden sein, denn besser kann eine anti-armenische Politik nicht betrieben werden.

Der ZAD nennt die von Lintner organisierte Veranstaltung in einer Presseerklärung eine „schlichte Propagandaveranstaltung für die Seite Aserbeidschans“, beklagt die „höchst einseitige Sicht der Dinge“, „bedauert außerordentlich, dass die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft sich dazu hergibt, eine schlichte Propagandaveranstaltung für die Seite Aserbeidschans zu fördern, ohne die andere Seite mindestens um eine Stellungnahme zu bitten“ und ist „empört“ darüber, dass von „Völkermord an Aserbaidschanern“ die Rede ist. Vielleicht haben die Armenier in Deutschland diese Presseerklärung des ZAD als ausreichend empfunden, um gegen die anti-armenische Veranstaltung der GmbH zu protestieren. Wenn ja, dann zeugt dies von einer groben Unterschätzung der Lobbyaktivitäten Aserbaidschans in Deutschland. Wenn nein, dann stellt sich die Frage, was bislang konkret getan wurde, um die eigene Position in der Karabach-Frage deutlich zu machen. Die Pressemitteilung des ZAD zeugt lediglich von der Ohnmacht eines Verbandes, der seit über 15 Jahren zu Berg-Karabach mehr oder weniger geschwiegen hat und sich jetzt über die Aktivitäten der aserbaidschanischen Lobby „empört“. Aber auch in anderen armenischen Vereinen müssen sich die Verantwortlichen fragen lassen, was sie in den vergangenen 15 Jahren getan haben, um die Armenier – und möglichst auch die deutsche Öffentlichkeit – über die Hintergründe und Entwicklung in der Karabach-Frage zu informieren. Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, was die in Berlin befindliche Vertretung der Republik Berg-Karabach während dieser Zeit unternommen hat.

Dass die armenischen Verbände in Deutschland in der Völkermord-Frage total versagt haben, kann nicht ernsthaft bestritten werden. In der Karabach-Frage sieht es leider nicht anders aus. Die armenische Gemeinschaft ist bis heute nicht einmal in der Lage, die Verantwortlichen in den Verbänden an ihre Aufgaben zu erinnern. Sie gibt sich mit gelegentlichen Presseerklärungen, die von den Medien kaum zur Kenntnis genommen werden, zufrieden und schweigt. Manche Armenier halten diese kümmerlichen Reaktionen des ZAD sogar für besonders lobenswert. Der Verbandsvorsitzende beklagt sich darüber, dass im Einladungstext zur Veranstaltung „mit keinem Wort die systematischen und mörderischen Massaker an den Armeniern durch aserbeidschanische Totschlägerbanden erwähnt werden“. Wie lange würde wohl Lintner Geschäftführer bleiben, wenn er die Verbrechen der Aserbaidschaner erwähnen würde?

Lintner hat im Juni 2005 den Beschluss des Bundestags zum Verbrechen im Osmanischen Reich sicher genauso unterstützt, wie die allermeisten Abgeordneten. Aber niemand sollte denken, dass jemand, der das Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich verurteilt, gleichzeitig auch in der Karabach-Frage die armenische Position unterstützt. Die Armenier müssen endlich eine bittere Tatsache zur Kenntnis nehmen: Über Fraktionsgrenzen hinweg scheint die Meinung vorzuherrschen, dass die „territoriale Einheit“ Aserbaidschans erhalten werden muss und die Armenier sich mit „weitgehenden Autonomierechten“ zufrieden geben sollen. Auch die Linksfraktion, die sich mit einer Reihe von Kleinen Anfragen im Zusammenhang mit dem Völkermord hervorgetan hat, bildet keine Ausnahme. Ein Linksabgeordneter wie Dr. Diether Dehm wäre einer Einladung von CSU-Lintner vermutlich gefolgt und hätte als Referent die Armenier als Okkupanten gebrandmarkt. Es gibt außer ihm sicher noch viele andere Linksabgeordnete, für die das Selbstbestimmungsrecht der Völker, so wie es einst von Lenin definiert wurde, nichts Wert ist.

Es kann angesichts der beängstigenden Entwicklung in der Karabach-Frage nicht nur darum gehen, sich in Presseerklärungen über die Aktivitäten der aserbaidschanischen Lobby aufzuregen. Spätestens jetzt müssen die Armenier sich einige Fragen stellen: Was tun ihre Verbände, um die Solidarität der Armenier hier mit den in Berg-Karabach zu entwickeln? Was wird konkret getan, um die deutsche Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Armenier in Berg-Karabach im Recht sind? Wo sind die deutschen Abgeordneten, Politiker und andere „Persönlichkeiten“, die sich für das Selbstbestimmungsrecht Berg-Karabachs einsetzen? Die Verantwortlichen in den armenischen Vereinen müssen diese Frage beantworten, wenn ihnen wirklich was daran liegt Berg-Karabach zu unterstützen. Wenn aber ein Verband wie der ZAD, der kürzlich sein 40-jähriges Bestehen gefeiert hat, sich darauf beschränkt Ereignisse mit Pressemitteilungen zu kommentieren, dann stellt sich die Frage, wie angesichts der offensichtlicht desolaten Lage der armenischen Gemeinschaft in Deutschland Feierstimmung aufkommen soll.

Toros Sarian