Ararat

Die Nutznießer des Bundestagsbeschlusses zum Völkermord an den Armeniern: Prof. Dr. Dr. Goltz und die Evangelische Kirche

Bei der internationalen Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern bildet der 29. Januar 2001 ein wichtiges Datum. Die Französische Nationalversammlung stellte in einem kurzen Satz fest: „Frankreich erkennt öffentlich den Völkermord an den Armeniern 1915 an.“ Im selben Jahr gab es auch in Deutschland eine Initiative, der den Bundestag zu einer Anerkennung aufforderte. Bis auf die damalige PDS sperrten sich alle übrigen Fraktionen einer solchen Forderung. Es vergingen vier Jahre, bis die oppositionelle CDU/CSU-Fraktion im Februar 2005 einen Antrag einbrachte. Das Regierungsbündnis aus SPD und Grüne konnte den Antrag natürlich nicht einfach abschmettern. Nach der Bundestagsdebatte, die wenige Tage vor dem 90. Jahrestag des Völkermords stattfand, einigten sich alle Fraktionen darauf, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Dieser wurde schließlich im Juni mit Zustimmung aller Fraktionen angenommen. Allein der Titel des Antrags „Erinnern und Gedenken an die Vertreibung und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen“ war umfangreicher als das, was die Französische Nationalversammlung zum Völkermord beschlossen und als Gesetz verkündet hatte.

Im Antragstext sucht man vergeblich das Wort „Völkermord“. Nur in der Begründung wird kurz erwähnt, dass „zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Organisationen die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Völkermord bezeichnen.“ Die armenische Gemeinschaft in Deutschland und ihre Verbände hatten während des ganzen Prozesses vom Februar bis Juni 2005 keine Möglichkeit, irgendeinen Einfluss auf die Formulierung des Beschlusstextes Textes zu nehmen. Vier Jahre nach dem „historischen“ Beschluss mag man nicht gerne daran erinnert werden, wie die deutsche Politik sich auf sehr geschickte Art und Weise des unbequemen Themas Völkmord-Anerkennung entledigt hat. Die armenischen Verbände haben das Kapitel längst lautlos geschlossen. Alle gehen davon aus, dass der Bundestagsbeschluss eine Anerkennung bedeutet und niemand stellt sich die Frage, warum „der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordert, sich für die Bildung einer Historiker-Kommission einzusetzen, an der außer türkischen und armenischen Wissenschaftlern, auch internationale Experten beteiligt sind“, wenn doch „zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Organisationen“ das Verbrechen längst als Völkermord bezeichnet haben.

Obwohl im Bundestagsbeschluss steht, dass es Aufgabe der Bildungspolitik sei, „dazu beizutragen, dass die Aufarbeitung der Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Teil der Aufarbeitung der Geschichte ethnischer Konflikte im 20. Jahrhundert auch in Deutschland erfolgt“, hat außer Brandenburg kein anderes Bundesland das Thema “Völkermord an den Armeniern” in den Geschichtslehrplan aufgenommen. Und Brandenburg hatte sich schon vor dem Bundestagsbeschluss dazu entschlossen. Auf armenischer Seite herrscht auch in dieser wichtigen Frage mehr oder weniger Schweigen und Untätigkeit.

Am 24. April 2009, also bei der letzten vom ZAD und der Diözese gemeinsam durchgeführten Gedenkfeier in der Paulskirche in Frankfurt am Main, hielt Wolfgang Gust eine Rede, die für sehr viel Aufsehen gesorgt und Zuspruch gefunden hat. Die durchweg positive Reaktion, die er seitens der Vertreter der armenischen Gemeinschaft erhalten hat, könnten darauf hindeuten, dass doch noch Hoffnung besteht, dass die Armenier endlich anfangen zu erkennen, dass sie sich mit dem, was ihnen damals als „Völkermord-Anerkennung“ untergejubelt wurde, nicht zufrieden geben dürfen.

Es ist längst deutlich geworden, wer der wahre Gewinner der Beschlussfassung vom Juni 2005 ist: Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Goltz, evangelischer Theologe und Lepsius-Experte. “Besonders das Werk von Dr. Johannes Lepsius, der energisch und wirksam für das Überleben des armenischen Volkes gekämpft hat, soll dem Vergessen entrissen und im Sinne der Verbesserung der Beziehungen zwischen dem armenischen, dem deutschen und dem türkischen Volk gepflegt und erhalten werden“, heißt es im zweiten Absatz des Beschlusses. Der sehnlichste Wunsch des Lepsius-Experten Goltz ging endlich in Erfüllung: Der evangelische Theologe und Missionar Johannes Lepsius wurde vom Bundestag ausdrücklich geehrt und für das Gedenkstättenprojekt in Potsdam eröffnete sich endlich eine Finanzierungsmöglichkeit.

Der Plan einer Lepsius-Gedenkstätte hatte bereits 2001 die türkisch-nationalistischen Gemüter erregt. Die türkische Regierung warnte durch ihre diplomatische Vertretung den damaligen Ministerpräsidenten von Brandenburg, Manfred Stolpe, „dass das Haus zu einer Brutstätte des Rechtsextremismus oder gar ein Anlaufpunkt für armenische Terroristen werden könnte“. Sowohl Stolpe als auch der Potsdamer Oberbürgermeister Matthias Platzeck versuchten Ankara zu beruhigen. Gleichzeitig aber wurde ein Förderantrag für den Umbau der Lepsius-Villa nicht bewilligt. „Wir sind nicht eingeknickt“, beteuerte die Landesregierung. Der Förderantrag sei aus formalen Gründen abgelehnt worden, denn „es gab keine politischen Gründe“ für eine Bewilligung.

„Wir lassen uns nicht entmutigen und stellen weiter Förderanträge“, hatte damals Hans-Ulrich Schulz vom Förderverein Lepsius-Haus und gleichzeitig Generalsuperintendent der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg versichert. „Es wäre eine Sünde“, so Goltz, „die Gedenkstätte für einen der Urväter der Menschenrechte nicht einzurichten.“ Anfang 2005 signalisierte die CDU/CSU ihre Absicht, im Bundestag der Opfer des türkischen Verbrechens an den Armeniern zu gedenken und einen Antrag einzureichen. In Potsdam, wo die Bauarbeiten am Lepsius-Haus aufgrund Geldmangels ins Stocken geraten waren, schöpfte man wieder Hoffnung. Im Hintergrund müssen damals auch schon konkrete Verhandlungen über neue Fördergelder für das Projekt geführt worden sein. Holger Rupprecht, parteiloser Bildungsminister der Landesregierung in Potsdam teilte Ende März 2005 mit, dass seine Regierung an der zügigen Fertigstellung „einer würdigen Gedenkstätte für den Potsdamer Theologen und Humanisten Johannes Lepsius“ bemüht sei.

Nach Überzeugung von Hans-Ulrich Schulz soll die Gedenk- und Begegnungsstätte dazu dienen, „das Verhältnis zwischen Deutschen, Türken und Armeniern nachhaltig zu verbessern“. Doch die Erwartungen gingen noch weiter: Als Ende 2003 mit einer Feier die Sanierung des Lepsius-Hauses eingeleitet wurde, sagte Brandenburgs Kulturstaatssekretär Helm (CDU), dass es darum gehe, ein „Zentrum der gelebten Toleranz“ zu schaffen, in dem Christentum, Judentum und Islam sich begegnen könnten. Potsdams Oberbürgermeister Jakobs (SPD) nannte „das Wiederherstellen und künftiges Wirken des Lepsius-Hauses einen konkreten Beitrag Potsdams für Toleranz und Menschlichkeit“.

Die Behauptung, die Lepsius-Gedenkstätte könnte zu einer „nachhaltigen Verbesserung der armenisch-türkischen Beziehungen“ beitragen, zeugt von einer fast unglaublichen Naivität und Unkenntnis der ganzen Problematik der armenisch-türkischen Beziehungen. Goltz selber nennt Lepsius einen „Anwalt der Armenier“. Glaubt er wirklich, dass Türken, denen seitens türkisch-nationalistischer Medien und der offiziellen türkischen Geschichtsdarstellung immer wieder eingetrichtert wird, dass der Völkermord an den Armeniern eine Lüge sei, ins Haus des „Anwalts der Armenier“ gehen, um sich dort aufklären zu lassen? Offenbar haben sich evangelische Theologen und die Politiker nie gefragt, ob das Haus eines ehemaligen protestantischen Missionars ein für türkische Muslime geeigneter Ort ist, um – unter der Regie von evangelischen Theologen – das Verbrechen an den Armeniern aufzuarbeiten. Prof. Julius Schoeps hatte bereits im April 2005 gewarnt: „Es wird Ärger mit den Muslimen geben“, sagte der Direktor des Moses-Mendelsohn-Zentrums in Potsdam. Als „überzeugter Protestant“ habe Lepsius die Muslime und Juden missionieren wollen. Sein ziemlich fundamentalistischer Traum war schließlich eine christliche geprägte Türkei, mit den Armeniern als wichtigster Stütze.

Es ist unschwer zu erkennen, dass das von Prof. Goltz initiierte und von der evangelischen Kirche unterstützte Projekt in Potsdam vor allem das Ziel verfolgt, den evangelischen Theologen Johannes Lepsius „dem Vergessen zu entreißen“. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Problematisch ist die Angelegenheit deshalb, weil Goltz und die hinter ihm stehende evangelische Kirche das Thema Genozid an den Armeniern in einen Rahmen hineinzwängen wollen, in den es nicht hineingehört. Sie präsentieren ihr Projekt als Versöhnungsprojekt für Armenier und Türken, als ein „Brückenschlag zwischen Deutschland, Armenien und der Türkei“ und verkünden immer wieder, dass das Lepsius-Haus „keine anti-türkische Einrichtung“ sei. Aber wie Prof. Schoeps richtig erkannt hat, wird der protestantische Missionar bei der türkisch-muslimischen Bevölkerung kaum Vertrauen und Glaubwürdigkeit erwecken. Somit wird der Förderverein mehr oder weniger damit beschäftigt sein, die Vorbehalte gegenüber Lepsius abzubauen.

Auch wenn der Bundestag 2005 vor dem türkischen Druck eingeknickt ist, das Verbrechen nicht als Völkermord bezeichnete und die Bildung einer „Historiker-Kommission“ unterstützte, hat sie mit der Forderung nach einer Versöhnung eine wichtige Frage angeschnitten. Doch die Entwicklung seit 2005 gibt kaum Anlass zu Optimismus, dass in dieser Richtung sich doch noch was bewegen wird. Die langfristige und sorgfältige Arbeit des Netzwerks um Goltz führte dazu, dass der Bundestag die „Versöhnungsarbeit“ gewissermaßen dem Förderkreis Lepsius-Haus übertragen hat. Das Lepsius-Haus ist aber nicht der richtige Ort und die Personen, die dahinter stehen, sind nicht dazu geeignet, im Sinne des Bundestagsbeschlusses Resultate zu erzielen. Es bedarf keiner prophetischen Fähigkeiten, um voraussagen zu können, dass die Lepsius-Gedenkstätte nichts zur „nachhaltigen Verbesserung des armenisch-türkischen Verhältnisses beitragen“ wird. Aber Goltz, der evangelischen Kirche – und leider auch manchen Armeniern – scheint das offensichtlich völlig egal zu sein.

Toros Sarian